The Real Window to the World
La vraie fenêtre sur le monde
Das wahre Fenster zur Welt
Kulchur Pieces # 2
CR 660. Year 1978
- DE
Die Schaukel
Das Fenster ist unter der Decke befestigt, die Scheiben sind auf der Seite bemalt, die zur Decke liegt. Die sichtbare Seite ist unbemalt und reflektiert. Es ist so angebracht, daß wenn es fliegen würde, es in Längsrichtung ohne den Boden zu berühren flöge. Diese Bewegung längs durch den Raum sieht man nicht. Es ist aber ein Monitor aufgestellt, der ein Band zeigt, auf dem die Schaukelbewegung im leeren Raum, ohne Fenster, Globus und Mauer vorgeführt wird.
Im Instrumentarium seiner Rückzüge nun aber spielt die Spiegelschrift eine besondere Rolle. Sie bedeutet nicht eine beliebige, gesuchte Manipulation wie das Abdecken mit Retuschefarbe, sondern ergibt sich schlüssig aus der Individualität des Künstlers. Brieflich teilt er mit: "daß ich Linkshänder bin und mir von Anfang der Schule etwas Schreiben beibrachte und dann überrascht war, daß alles falsch, - eben linksherum war." Mit der linken Hand geschrieben, gerät die Schrift - von rechts nach links - seitenverkehrt aufs Papier. Gerz' Spiegelschrift ist "Linksschreibung" und in diesem Sinne auch mehr als bloßer Ausdruck des Vorbehalts gegen das Schreiben, vielmehr die Spur eines natürlicheren Schreibens als mit der ungeschickten, aber durch Zwänge der Zivilisation gedrillten Rechten. … Kultur als verkehrte Welt - für den Linkshänder ist das die authentische Perspektive. Und die sonst ungenutzte Begabung der linken Hand ermöglicht einen neuen Ansatz, den Versuch .. etwas Unmittelbares, Organisches zu machen; "festzustellen, ob man schreiben kann, wie man geht ode atmet". Bei diesem Tun gerät dem Schreibenden der Inhalt, das Vermittelte der Schrift rasch aus dem Blick, da er nämlich links nur schreibt, nicht aber entsprechend liest. Das Auge auf die Schrift der Rechtshänder programmiert. So verschwimmt das Geschriebene, nicht mehr verständlich, im Erinnern.
Jürgen Hohmeyer 1978
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Keywords
Manuscript (mirror writing)
Text (mirror writing) and pen drawings (photographic opaque) on blue squared Canson paper, 6 sheets, each 29,8 x 19,5 cm, signed and dated on the last page: Jochen Gerz (25/9-2/10/78)
See the installation of the same title (62) and the video documentation
(681).
Exhibitions
Lisboa 1979 (Porto 1979). Hannover 1980. Pontault-Combault 1989
Bibliography
I: Bielefeld 1985, pp. 72-75. Ludwigshafen 1984, pp. 141-146. Münster 1978, pp. 7-11. Paris 1994 IA,pp. 134-138
IV: Eden Art 1994, p. 44
Note
For the French translation of the German original see Jochen Gerz, De l’art, textes depuis 1969, pp. 134-138 (Paris 1994 b)